Über die Coriolis- und die Fliehkraft
Herleitung:
Ein inneres Bezugssystem 0, z. B. die Erde,
rotiere mit dem Winkelgeschwindigkeitsvektor \(ω\) in einem
äußeren Bezugssystem 1.
Wenn sich ein Massenpunkt im inneren System
an der Position \(r\) mit der Geschwindigkeit \(v_0\) bewegt.
dann hat er im äußeren System die Geschwindigkeit
\begin{align}
\vec{v}_1&=\left(\frac{\text{d}\vec{r}}{\text{d}t}\right)_1\\
&= \left(\frac{\text{d}\vec{r}}
{\text{d}t} \right)_0
+ \vec{\omega}\times \vec{r}\\
&=\vec{v}_0 + \vec{\omega}\times\vec{r}.
\end{align}
Welche Beschleunigung und welche Kraft wirkt entsprechend auf ihn in den beiden
Systemen?
Es gilt im äußeren Bezugssystem
\begin{align}
\vec{a}_1&\equiv\left( \frac{\text{d}\vec{v}_1}{\text{d}t} \right)_1\\
&=\left( \frac{\text{d}\vec{v}_1}{\text{d}t} \right)_0
+\vec{\omega}\times \vec{v}_1.
\end{align}
Darin ist (bei konstantem \(\omega\))
\begin{align}
\left(\frac{\text{d}\vec{v}_1}{\text{d}t} \right)_0
&=\left(\frac{\text{d}\vec{v}_0}{\text{d}t} \right)_0
+\left(\frac{\text{d}(\vec{\omega}\times r)}{\text{d}t}
\right)_0\\
&=\vec{a}_0 + \vec{\omega}\times \vec{v}_0.
\end{align}
Insgesamt ist damit – aufgelöst nach der Beschleunigung im inneren,
rotierenden System –
\[
\vec{a}_0 = \vec{a}_1 - 2(\vec{\omega}\times \vec{v}_0)
- \vec{\omega}\times (\vec{\omega}\times \vec{r}).
\]
Im rotierenden System wird also die Beschleunigung ergänzt durch zwei Terme:
- Die Coriolis-Beschleunigung \(-2(\vec{\omega}\times \vec{v}_0)\)
hat eine Abweichung
im rechten Winkel zur Drehachse und zur Geschwindigkeit
im rotierenden Bezugssystem zur Folge.
- Die Zentrifugalbeschleunigung
\(-\vec{\omega}\times (\vec{\omega}\times \vec{r})\)
wirkt im rechten Winkel zur Drehachse nach außen.
Auf der Erde mit dem Radius \(R\) hat sie bei der Breite \(\vartheta\) den Betrag
\(\omega^2 R\cos\vartheta\).
Beispiel: Bewegung auf der Erdoberfläche
Die Winkelgeschwindigkeit der Erde sei
\[
\vec{\omega}=\omega\begin{pmatrix}0\\0\\1\end{pmatrix}.
\]
Von Interesse ist hier hauptsächlich die horizontale Komponente der
Coriolis-Kraft bei horizontalen Bewegungen.
Da sie im rechten Winkel zum (radialen) Ortsvektor \(\vec{r}\) stehen, gilt
\[
\vec{v}\cdot\vec{r}=0.
\]
Wenn man von der Coriolis-Beschleunigung die Radialkomponente abzieht,
erhält man die Horizontalkomponente.
Ich gehe von einem Punkt auf der Erdoberfläche auf
der \(x\) -Achse aus
.
Seine Koordinaten sind – bei einem Erdradius 1 –
\[
\vec{r}=\begin{pmatrix}1\\0\\0\end{pmatrix}.
\]
Dort bewegt sich ein Massenpunkt horizontal,
nämlich senkrecht zur \(x\)-Achse,
mit der Geschwindigkeit
\[
\vec{v}=v\begin{pmatrix}0\\\cos\alpha\\\sin\alpha\end{pmatrix}.
\]
Sie erfüllt \(\vec{v}\cdot \vec{r}=0\) und ist also horizontal.
Ergebnis:
Der Betrag des horizontalen Anteils der Coiolis-Kraft ist unabhängig vom
Winkel \(\alpha\), also unabhängig von der Richtung der Geschwindigkeit. Daher
wird die Luft bei ihrer Bewegung um ein Tief gleichmäßig seitlich abgelenkt.
Der Horizontalanteil ist Null am Äquator (ϑ = 0),
und ihr Betrag nimmt zu
den Polen hin im Sinn einer Sinuskurve stetig zu.
In welcher Richtung wirkt die horizontale Coriolis-Kraft?
Sie wirkt auch in der Horizontalen immer im rechten Winkel zur Geschwindigkeit.
Es ist nämlich
\begin{align}
\vec{F}_{c,hor}\vec{v}_1 &=2mω v\sin\vartheta
\begin{pmatrix}\cos\alpha\sin\vartheta\\\sin\alpha\\-\cos\alpha\cos\vartheta \end{pmatrix}\cdot
\begin{pmatrix}-\sin\alpha\sin\vartheta\\\cos\alpha\\
\sin\alpha\cos\vartheta \end{pmatrix}\\
&=2m\omega v\sin\vartheta\sin\alpha\cos\alpha
\left(-\sin^2\vartheta+1-\cos^2\vartheta\right) \\&=0.
\end{align}
Lenkt sie dabei nach recht oder nach links ab?
Ich bilde dazu das Kreuzprodukt
\begin{align}
\vec{K}&\equiv\vec{F}_{c,hor}\times \vec{v}_1\\
&=2mω v\sin\vartheta
\begin{pmatrix}\cos\alpha\sin\vartheta\\\sin\alpha\\-\cos\alpha\cos\vartheta
\end{pmatrix}\times
\begin{pmatrix}-\sin\alpha\sin\vartheta\\\cos\alpha\\
\sin\alpha\cos\vartheta\end{pmatrix}\\
&= 2m\omega v\sin\vartheta \begin{pmatrix}\cos\vartheta\\0\\\sin\vartheta
\end{pmatrix}
=2m\omega v \sin\vartheta \vec{r}_1.
\end{align}
Die Vektoren \(\vec{F}_{c,hor}\), \(\vec{v}_1\) und \(\vec{K}\)
bilden – in dieser Reihenfolge – ein rechtshändiges kartesisches Koordinatensystem.
Auf der Nordhalbkugel \((\vartheta > 0)\) hat, wie
das Kreuzprodukt zeigt, \(\vec{K}\) die Richtung des Ortsvektors \(\vec{r}_1\). Von oben auf
die Horizontebene gesehen erscheint die Coriolis-Kraft daher rechts
vom Geschwindigkeitsvektor \(\vec{v}_1\).
Entsprechend lenkt sie also nach rechts ab.
Auf der Südhalbkugel \((\vartheta < 0)\) ist K
dem Ortsvektor \(\vec{r}_1\) entgegengerichtet.
Dementsprechend liegt \(\vec{F}_{c,hor}\) bei der gleichen Betrachtung jetzt links vom
Geschwindigkeitsvektor \(\vec{v}_1\) und erzeugt dort eine Linksablenkung.
Am Äquator \((\vartheta = 0)\) ist die horizontale Coriolis-Kraft,
wie schon die Horizontalkomponente \(\vec{F}_{c,hor}\)
zeigt, gleich dem Nullvektor, und es gibt dort keine Ablenkung.
Zahlenbeispiel
Die Winkelgeschwindigkeit der Erde ist \(\omega = 7.292 · 10^{-5}\)/ s. Bei einer Breite
\(\vartheta = 60\) Grad beträgt die Fliehbeschleunigung 0.017 m/s\(^{-2}\). Das liegt im
Promillebereich der Erdbeschleunigung. Eine Masse von 100 kg wiegt dadurch
scheinbar so viel, als wenn sie 17 g geringer wäre.
Ein Flugzeug, das dort mit Schallgeschwindigkeit fliegt,
spürt eine Coriolis-Beschleunigung der
Stärke \(2\omega v \sin \vartheta = 0.04\) m/s\(^2\).
Auch dies ist im Promille-bereich der Erdbeschleunigung.
Dem kann leicht gegengesteuert werden, so daß dieser Effekt kaum bemerkt wird.
Anders sind die Verhältnisse bei den Luftströmungen. Hier steht der
horizontalen Coriolis-Beschleunigung keine Kraft entgegen, und es entsteht die
bekannte Spiralbewegung der Luft um ein Tiefdruckzentrum.
© Günter Green
11-Mai-2023
zu weiteren Physikthemen