Kinetische Deutung von Druck
(Daniel Bernoulli, 1738)
Gasmoleküle stoßen wegen ihrer thermischen Bewegung gegen Gefäßwände
und werden dort reflektiert.
Dabei bewirkt ihre Impulsänderung eine Kraft auf die Wand.
Deren Flächendichte ist der Druck.
Er ergibt sich in dieser Modellvorstellung als Produkt aus Stoßrate
pro Fläche und Impulsänderung pro Stoß.
Die Stoßrate ist das Produkt
aus der Zahl \(n\) von Molekülen pro
Volumen und der mittleren
Geschwindigkeitskomponente
\(\overline{v_\perp}\) senkrecht zur Wand.
Pro Stoß ändert sich im Mittel der Impuls eines Moleküls um zweimal dessen
Masse \(m\)
mal mittlerer Geschwindigkeit \(\overline{v_\perp}\)
.
Der Druck ist also
\[
p=n\overline{v_\perp}\cdot m\overline{v_\perp}=2nm\overline{v^2_\perp}.
\]
Darin ist bei 0°C und 1013.25 hPa
mit der Avogadro-Zahl \(N_A\)
und dem Molvolumen \(V_A\)
die Moleküldichte
\[
n = \frac{N_A}{V_A} = 6.022\cdot 10^{26}/22.4\text{ m}^3.
\]
Die mittlere Molekülmasse von Luft beträgt
\[m=28.2\cdot1.67\cdot10^{-27} \text{ kg}.
\]
Für die Geschwindigkeitskomponente senkrecht zur Wand gilt im Mittel,
zu dem nur die Moleküle aus
demjenigen Geschwindigkeitshalbraum beitragen, die sich der Wand nähern,
\begin{align}
\overline{v^2_\perp}
&= \int\limits_0^{\pi/2}\hspace{-8pt}\int\limits_{-\pi}^\pi
\frac{v^2 \cos^2\vartheta}{4\pi}\,
\sin\vartheta \text{ d}\varphi\text{ d}\vartheta \\ &=\frac{v^2}{6}.
\end{align}
Die mittlere Geschwindigkeit der Moleküle muß
wegen
\(p=2nmv^2_\perp = nmv^2/6\)
dann den Wert
\[
v=\sqrt{\frac{3p}{mn}} = 485\text{ m/s}
\]
haben, um den atmosphärischen Druck von 1013.25 hPa zu liefern.
Dies ist ungefähr das 1.5-fache der Schallgeschwindigkeit
von 331 m/s bei 0°C.
Beziehung zur Temperatur
Mit dem obigen Ausdruck für die mittlere Geschwindigkeit hat ein Molekül
die kinetische Energie
\begin{align}
E_\text{kin}
=\frac{m}{2}\,v^2 = \frac{3}{2}\frac{p}{n}.\\
\end{align}
Schreibt man die Molekülzahldichte
\(n\) als Quotienten
aus Avogadrozahl \(N_A\) und
zugehörigem Molvolumen \(V_A\),
dann ergibt sich wegen des allgemeinen Gasgesetzes gemäß der Definition
der Gaskonstanten
und der Boltzmann-Konstanten
\(k:=R/N_A\)
die Beziehung zwischen der Molekülgeschwindigkeit bzw. -energie
und der Temperatur als
\[
E_\text{kin}=\frac{3}{2}\,\frac{pV}{N_A} =
\frac{3}{2} \frac{RT}{N_A} = \frac{3}{2}\,kT.
\]
Diskussion
Tatsächlich mißt man bei Temperaturen von etwa 0°C
als mittlere Molekülenergie
nicht 3kT/2 sondern eher 5kT/2.
Dies kann darauf hindeuten, daß die stoßenden Moleküle nicht vereinfacht
als Massenpunkte,
sondern bei N2 und O2 realistischer
als hantelförmige Gebilde aus je zwei Massenpunkten (Atomen) wirken.
Sie hätten neben ihrer kinetischen Translationsenergie
als weitere Bewegungsmöglichkeit Rotationen
in zwei Winkelkoordinaten
(wie etwa Länge und Breite auf der Erdkugel), die ebenfalls beim Stoß Impuls
auf die Wand übertragen.
Dies könnte die mittlere effektive Geschwindigkeit v
im erforderlichen Maße um den Faktor
\(\sqrt{5/3}=1.29\)
erhöhen.
© Günter Green
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6-Okt-2018